Sarika Yeshua war wie Allegra Felous eine von circa 650 Jüdinnen und Juden, die sich aktiv am griechischen Widerstand gegen die deutsche Besatzungsherrschaft beteiligt haben.
Als Sarika Yeshua 13 Jahre alt war, sandte der mit Hitler verbündete italienische Diktator Mussolini am 28. Oktober 1940 nach vorher inszenierten Grenzzwischenfällen dem an der Neutralität Griechenlands festhaltenden Ministerpräsidenten Ioannis Metaxas die ultimativ vorgetragene Forderung, den „Achsenmächten” die Genehmigung zur Besetzung strategisch wichtiger Stützpunkte auf griechischem Territorium zu ermöglichen. Wenige Stunden nach Metaxas‘ knapp ausgefallener Antwort – nach griechischer Lesart beließ er es bei einem schlichten „όχι” (nein) – marschierten italienische Truppen völkerrechtswidrig von Albanien aus in Griechenland ein. Beim Gegenangriff der griechischen Truppen starb Sarikas Onkel, Oberst Mardocheos Frizis.
Als Sarika Yeshua 14 Jahre alt war, fielen deutsche Truppen am 6. April 1941 in Griechenland ein, um Mussolinis zurückgedrängten Truppen unter die Arme zu greifen – und, was wichtiger war: die Südost-Flanke des für Mai 1941 geplanten Angriffs auf die Sowjetunion zu sichern.
Die Deportationen von annähernd 60.000 Jüdinnen und Juden
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Sarika nach der Schule bereits im Militärkrankenhaus ihres Heimatortes Chalkida auf der Insel Euböa als freiwillige Krankenschwester und versorgte verwundete Soldaten. Mit ihrer Mutter und älteren Schwester – ihr Vater war kurz nach ihrer Geburt gestorben – lebte sie im „Ovriaki“, dem jüdischen Viertel. Dort, wo seit über 2500 Jahren ohne Unterbrechung eine kleine jüdische Gemeinde bestand, die sich auch während der italienischen, später deutschen Besatzung der Unterstützung ihrer christlich-orthodoxen Nachbarn sicher sein konnte. Den mangelnden Antisemitismus der Griechen hatte bereits früh das Anfang Mai 1941 in Athen eingetroffene Sonderkommando des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg beklagt: „Für den Durchschnittsgriechen gibt es bisher kaum eine Judenfrage. Er sieht nicht die politische Gefahr des Weltjudentums und glaubt sich wegen der verhältnismäßig geringen zahlenmäßigen Stärke vor einer kulturellen und wirtschaftlichen Bevormundung durch die Juden sicher”.
Das besiegte Griechenland war in drei Besatzungszonen zwischen dem Deutschen Reich, Italien und Bulgarien aufgeteilt worden und Italien vom Partner der „Achse Berlin-Rom“ die zumindest formale Vorherrschaft zugestanden worden. Mussolinis Hinhaltestrategie in der „Judenfrage“ ermöglichte zwar einzelne Verhaftungen, Einquartierungen, Schikanen aller Art, Schließungen von jüdischen Buchhandlungen und Zeitungen – blockierte aber Deportationen der jüdischen Bevölkerung aus dem italienischen Besatzungsbereich, zu dem auch die Insel Euböa gehörte. Und da auf Wunsch des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) die geplante „Endlösung” in einem möglichst konzertierten Vorgehen in allen Landesteilen Griechenlands vor sich gehen sollte, stellten die Deutschen Deportationen auch aus ihrem eigenen Machtbereich zunächst zurück.
Aber Nachrichten aus Thessaloniki, wo über zwei Drittel der jüdischen Bevölkerung Griechenlands lebte, über von der deutschen Wehrmacht unterstützte Razzien und Raubzüge zur Erlangung wertvoller Kulturgüter, ließen auch Jüdinnen und Juden in anderen Landesteilen die sich anbahnende große Gefahr erkennen. Zum ersten organisierten Schlag gegen die jüdische Gemeinde in Thessaloniki kam es, als am 7. Juli 1942 der Befehlshaber Saloniki-Ägäis die Anordnung zur Zwangsarbeit für alle männlichen unbeschäftigten Juden griechischer Staatsangehörigkeit bis zum Alter von 45 Jahren verfügte. Nach der mit entwürdigenden Schikanen verbundenen öffentlichen Musterung wurden ca. 3.500 Juden vorwiegend im Straßenbau eingesetzt. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter trugen alle Merkmale der “Vernichtung durch Arbeit” und forderten ca. 400 Tote. Wer auch immer die Möglichkeit dazu hatte, setzte sich aus der deutschen in die italienische Besatzungszone ab, die für Jüdinnen und Juden (noch) Asylcharakter hatte.
Als Sarika Yeshua 16 Jahre alt war, schloss sie sich dem Widerstand an. Mit gefälschten Papieren zogen sie und ihre Mutter in das nordöstlich von Chalkida gelegene Bergdorf Steni, wo ihre verheiratete Schwester lebte. Sie wurde Mitglied der Jugendorganisation der Nationalen Befreiungsfront, der EPON, und arbeitete in der Fluchthilfe. Die wurde immer wichtiger: Mitte März 1943 hatte in Thessaloniki die Deportation der Jüdinnen und Juden begonnen. Insgesamt verliessen Thessaloniki bis zum Mitte August 1943 18 Deportationszüge mit über 45.000 Männern, Frauen und Kindern auch aus Florina, Veria, Demotika, Nea Orestia und Soufli in Richtung Auschwitz-Birkenau. (Die Fahrkarten für ihre Zugfahrt in die Vernichtungslager mussten die Deportationsopfer selbst bezahlen. Die Reichsbahn hat somit mitverdient an deren Schicksal. Dennoch lehnt die staatseigene Bahn AG als historisches Nachfolgeunternehmen der Reichsbahn bis heute Entschädigungszahlungen ab.)
Die Fluchthilfe musste noch intensiviert werden, als die Deutschen nach der Kapitulation Italiens im September 1943 auch die vorher vom ehemaligen Achsen-Partner besetzten Teile Griechenlands in ihr Programm zur „Endlösung der Judenfrage” einbeziehen konnten. Wie erfolgreich der Rettungswiderstand und die Fluchthilfe auf der Insel Euböa betrieben wurde, belegen die nach Ende der deutschen Besatzung erhobenen Zahlen: Der Verfolgung entkamen 305 der 327 Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Chalkida.
Der Klerus und die Bevölkerung Euböas sorgten für falsche Papiere und Erstunterbringung, die Partisanen der Volksbefreiungsarmee versteckten die Jüdinnen und Juden in von ihnen kontrollierten Bergdörfern oder fuhren sie in kleinen Fischerbooten von den Stränden der Insel an die türkische Küste.
Als Sarika Yeshua 17 Jahre alt war, arbeitete sie als Lehrerin in dem abgelegenen Bergdorf Kourkouli auf Euböa und organisierte dort auch Theateraufführungen der Jugendorganisation der Nationalen Befreiungsfront. Einer der Dorfbewohner, der mit den Nazis kollaborierte, verriet sie, worauf am 4. März 1944 eine Einheit der mit den Deutschen zusammen arbeitenden berüchtigten „Sicherheitsbataillone” in Kourkouli eintraf. Sarikas Cousine Mendi Moschovits, die ebenfalls als Lehrerin im Dorf arbeitete, wurde mit ihr verwechselt, bestialisch gefoltert, ermordet und anschließend achtlos auf den Dorfplatz geworfen.
„Kapetanissa Sarika”
Unmittelbar nach dem Mord an ihrer Cousine schloss sich Sarika Yeshua dem bewaffneten Widerstand innerhalb des 7. Regiment der Volksbefreiungsarmee an. Leidenschaftlich vertrat sie die Ansicht, dass sich gerade junge Frauen am bewaffneten Widerstand beteiligen sollten und erhielt schließlich die Erlaubnis, eine eigene kleine Frauen-Einheit zu gründen. 13 junge Mädchen aus unterschiedlichen Dörfern der Insel gehörten dieser bewaffneten Einheit an, die von „Kapetanissa Sarika” im Umgang mit Pistolen und Molotow-Cocktails, aber auch in Fragen der militärischen Disziplin und dem Umgang mit den männlichen Partisanen geschult und in die Einsätze geführt wurden.
Ein griechisch-amerikanischer Korrespondent beschrieb die damals bereits legendäre „Kapitanissa” in einem Zeitungsartikel über den griechischen Widerstand als „kleine, kräftige Frau mit schwarzen Haaren und blauen Augen. Sie rennt wie ein Mann und trifft mit der Waffe aus 200 Yards eine am Baum hängende Walnuss. Egal, ob sie Befehle ruft, mit ihren Armen Anweisungen an die Truppe gibt oder auf Bergpfaden singt, sie tut es mit Pathos und Stolz.”
Nach dem Abzug der deutschen Truppen im Herbst 1944 wurde Sarika Yeshua wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksbefreiungsarmee verhaftet, wegen ihrer großen Bekanntheit aber rasch wieder freigelassen. Im Jahr 1946 emigrierte sie nach Israel, wo sie heiratete. Sara Yeshua-Fortisstarb im Oktober 2018 in Tel Aviv.