Ioanna Tsatsou (1904-2000)

 

„Kälte, Schnee, Hunger“, notierte Ioanna Tsatsou am 25. November 1941 in ihr Tagebuch. „Was wird der Hunger uns antun? Wie sollen wir die hungernden Kinder ernähren? Ich hatte einen wunderbaren Traum. Ein großer Tisch mit herrlichstem Essen und Trinken. Am Kopf saß das Christkind und um es herum zahllose griechische Kinder. Sie alle aßen mit großem Appetit und Genuss und verschmierten dabei ihre Gesichter. Unter ihnen waren viele meiner kleinen Freunde (…) lch erwachte mit dem Gefühl, aus dem Paradies zu kommen und langsam, aber bewusst in einen vertrauten Albtraum zu gleiten.“

Der Kampf gegen Kälte, Schnee und Hunger

Die ersten Monate der deutsch-italienischen Besatzung Griechenlands hatten längst die ersten Hungertoten in Athen gefordert, als Ioanna Tsatsou am 14. September 1941 mit ihren Tagebuchaufzeichnungen begann. Die in Izmir geborene promovierte Juristin und ihr Mann Konstantinos Tsatsos, Professor für Rechtsphilosophie an der Universität Athen und während der Metaxas-Diktatur zeitweise auf griechische Inseln verbannt, hatten sich gleich nach dem deutschen Überfall auf Griechenland im April 1941 dem bürgerlichen Widerstand angeschlossen. In ihrem Haus in der Athener Plaka trafen sich heimlich – trotz ständiger Überwachung und vieler Hausdurchsuchungen – Gleichgesinnte. Hier liefen Informationen über Widerstandsaktionen aus dem ganzen Land zusammen und wurden sichere Unterkünfte und Fluchtrouten für Verfolgte organisiert.

Ioanna Tsatsou arbeitete eng – zunächst verdeckt, später offiziell in einem von ihm eingerichteten Unterstützungsfonds – mit dem Metropoliten von Athen, Erzbischof Damaskinos, zusammen. Sie sammelte Geld, Lebensmittel und Kleidung, organisierte Stadtteil-Suppenküchen und kümmerte sich insbesondere um die Hilfe für Familienmitglieder der vielen von den Besatzern willkürlich Verhafteten und die Unterstützung der Hinterbliebenen von hingerichteten Männern und Frauen.

Aktiv im bürgerlichen Athener Rettungswiderstand

Am 17. April 1943 notierte Ioanna in ihr Tagebuch: „Dieser Tage beschäftigt ein weiteres drängendes Problem den Erzbischof. Die Juden.“

Gleich nachdem er von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Athens über die erste Judendeportation aus Thessaloniki informiert worden war, wandte sich Erzbischof Damaskinos in einem Protestschreiben an den mit den Besatzern kollaborierenden griechischen Premierminister Logothetopoulos und forderte ein Ende der Judenverfolgung: Die griechisch-orthodoxe Religion kenne keine Unterscheidung nach Rasse oder Religion und verurteile dementsprechend jeden Versuch der Diskriminierung. Nachdem diese Intervention erfolglos blieb, wies er den griechischen Klerus an, gefährdete Jüdinnen und Juden zu unterstützen. Ein geheimes Netzwerk, dem auch Ioanna Tsatsou angehörte, sorgte dafür, Ausweispapiere zu fälschen, um von der Deportation bedrohten Menschen zur Flucht in die von den Partisanen beherrschten Gebiete oder ins Ausland zu verhelfen.

Am 20. April 1943 notierte Ioanna in ihr Tagebuch: „In absoluter Geheimhaltung taufen wir Juden. Der Erzbischof unternimmt unter großem persönlichen Risiko enorme Anstrengungen, um so viele Juden wie möglich zu retten. Er hat sich mit dem Büro des Bürgermeisters in Athen verständigt. Ein besonderes Register wurde eröffnet, und nach der Taufe erhalten diese Menschen Urkunden, aus denen hervorgeht, dass sie griechische Christen sind.“

Dass Ioanna selbst die jüdische Familie Baruh über Monate hinweg in ihrem eigenen Haus versteckte und auch viele andere untergetauchte Jüdinnen und Juden unterstützte, fand sie hingegen nicht erwähnenswert. Das sahen die durch sie Geretteten anders und sorgten dafür, dass Ioanna Tsatsou seit dem Jahr 1989 durch die israelische Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt wird.

Ioanna Tsatsou hat im Gegensatz zu anderen Mitgliedern des Athener Rettungswiderstandes (zum Beispiel Lela Karagianni, die noch am 8. September 1944 hingerichtet wurde) die im Herbst 1944 endende deutsche Besatzung überlebt. Ihr Mann, der sich lange versteckt halten und kurz vor Ende der deutschen Besatzung in den Nahen Osten fliehen musste, bekleidete ab 1945 mehrmals Ministerämter und amtierte von 1975 bis 1980 als griechischer Staatspräsident.
Ioanna Tsatsou starb am 30. September 2000 in Athen.

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