Maria Beikou (1926-2011)

 

Maria Beikou hatte Ärztin werden wollen. Stattdessen kämpfte sie als 18-Jährige in den Bergen Griechenlands gegen die deutschen Besatzungstruppen. Und wurde später, nachdem sie am Ende des griechischen Bürgerkriegs zur Flucht gezwungen war, zur „Stimme Griechenlands“ von Radio Moskau. Erst 1975 konnte sie nach dem Sturz der griechischen Militärjunta in ihre Heimat zurückkehren. In vielen Interviews, auch in der von ARTE ausgestrahlten deutsch-französischen Dokumentationsreihe „Schattenkampf“, berichtete sie vom griechischen Kampf gegen die Nazis.

Maria kam nach ihrem Schulabschluss 1943 zwei Jahre nach dem deutschen Überfall auf Griechenland von der Insel Euböa nach Athen, um an der Medizinischen Fakultät der Universität zu studieren. Als sie dort erfuhr, dass ihr älterer Bruder von den Besatzungskräften verhaftet worden war, nahm sie auf der Suche nach ihm Kontakt zu den antifaschistischen Widerstandskräften der Nationalen Befreiungsfront EAM (Ethniko Apelevtherotiko Metopo) auf. Ein Kontakt, der ihr Leben verändern sollte: Maria schloss sich der Jugendorganisation der EAM, der Vereinigten Panhellenischen Jugendorganisation EPON, an und wurde Mitglied der Kommunistischen Partei Griechenlands.

Frauen im griechischen Widerstandskampf

Mehr als ein Drittel aller griechischen Frauen beteiligte sich aktiv am Widerstand gegen die Besatzung ihres Landes von 1941 bis 1944. Den überwiegenden Anteil bei der Arbeit von Organisationen wie der Vereinigten Panhellenische Jugendorganisation und in Hilfsorganisationen wie etwa der Nationalen Solidarität (Ethniki Allileggii, EA) bewältigten Frauen. Sie kamen aus allen sozialen Schichten des Landes, gehörten sowohl der ländlichen wie auch der städtischen Bevölkerung an. Führungsaufgaben in den diversen Organisationen übernahmen meist Frauen aus der städtischen Mittelschicht, die sich bereits vorher wie Maria Svolou im Kampf um das Frauenstimmrecht in Griechenland oder wie Elektra Apostolou in der ArbeiterInnenbewegung engagiert hatten. Die Nationale Befreiungsfront, die sich für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzte und sich damit auch in diesem Aspekt als jene Kraft positionierte, die nicht nur gegen die Fremdherrschaft kämpfte, sondern vehement für eine bessere und gerechtere Gesellschaftsordnung eintrat, ermutigte sie, sich nicht auf karitative, eher weiblich anmutende Aufgaben zu beschränken. Wirkung zeigten Aufforderungen, sich am Widerstandkampf zu beteiligen, vor allem bei sehr jungen Mädchen und Frauen, die das traditionelle Rollenverhalten noch nicht verinnerlicht hatten, das die patriarchalische griechische Gesellschaft für sie vorsah.

In der EPON organisierte Heranwachsende publizierten und verteilten Flugblätter, kündigten Demonstrationen an, schrieben nachts politische Parolen gegen die Besatzer an Hauswände, überbrachten klandestine Nachrichten und transportierten Waffen. Sie gingen aber auch zeitweise (beispielsweise in ihren Schulferien) in die von den Partisanen besetzten Gebiete, bauten dort Suppenküchen auf, kümmerten sich um Arme, Kranke und Waisenkinder und leisteten dabei Überzeugungsarbeit für die Ziele des Widerstands. Andere reisten mit Lehrern kreuz und quer durch diese Gebiete und halfen mit, Alphabetisierungskampagnen und Schulgründungen zu initiieren. Sie griffen teilweise auch selbst zu den Gewehren, ließen sich militärisch ausbilden und gingen zusammen mit den Männern „in die Berge”, wo weibliche EPON-Musterbrigaden aufgestellt wurden.

Kapetanissa“ einer weiblichen Einheit

Diesen Weg wollte auch Maria gehen, wollte unbedingt mit der Waffe in der Hand gegen die Deutschen kämpfen und sich der Nationalen Befreiungsarmee ELAS (Ellinikos Laikos Apelevtherotikos Stratos)anschließen. „Dieser Entschluss brachte einige Probleme mit sich. Zuallererst waren da meine Eltern, die auf keinen Fall etwas davon hören wollten. Um in die ELAS einzutreten, musste ich ihre schriftliche Einwilligung vorweisen, und dazu habe ich freilich eine List angewandt. Ich sagte ihnen, dass ich zu meiner Großmutter gehen würde, wenn es mir[bei der ELAS] nicht gefiele, und so gaben sie mirdie Einwilligung.“ Im mittelgriechischen Karpenisi, einer Hochburg des bewaffneten griechischen Widerstandes, ließ sich Maria militärisch ausbilden. Anschließend baute sie eine Kampfeinheit von jungen Frauen auf, die zuvor auf verschiedene Abteilungen der Nationalen Befreiungsarmee verstreut gewesen waren. Mit gerade 18 Jahren wurde Maria „Kapetanissa“ dieser rein weiblichen Einheit.

Das Ende der deutschen Besatzungsherrschaft erlebte sie in der Nähe des mittelgriechischen Ortes Lamia, wo ihre Brigade zu dieser Zeit stationiert war. „Es war wunderbar. Wir hoben regelrecht vom Boden ab, wir flogen vor Freude. […] und ich meinte, daß wir jetzt, wo wir uns befreit hatten, unsere Zöpfe abschneiden sollten. Ich hatte angeordnet, daß wir alle Zöpfe trugen. Wir hatten keine Zeit, uns herauszuputzen. Denn wenn man die Haare offen trägt, dann muß man sie auch pflegen. Wir flochten uns also alle Zöpfe. Und in Marmara sagte ich: „Jetzt schneiden wir unsere Zöpfe ab, jetzt schneiden wir uns die Haare.“ Und wir schnitten uns die Haare. Und wir wurden wieder Frauen.“

Wir gaben unsere Waffen ab, mit Tränen in den Augen“

Noch in Lamia heiratete Maria im November 1944 Georgoulas Beikos, der vorher für die Ausbildung der Rekruten der Widerstandsarmee zuständig war und zu dieser Zeit als Chefredakteur einer Zeitung der Nationalen Befreiungsfront arbeitete. Viel Zeit konnte das junge Paar nicht miteinander verbringen, denn gleich danach musste Maria nach Athen. Dort tobte vom 3. Dezember 1944 bis zum 5. Januar 1945 eine blutige Schlacht zwischen der antifaschistischen Nationalen Befreiungsarmee auf der einen Seite und der kurz zuvor installierten neuen königstreuen Regierung, rechts-nationalistischen Organisationen und britischen Truppen auf der anderen Seite. Ein mit äußerster Härte ausgetragener Kampf, den britische Panzer – unterstützt von Bombardierungen der Royal Air Force – gewannen. Am 5. Januar 1945 zogen sich die geschlagenen Truppen der Nationalen Befreiungsarmee zurück; am 11. Januar 1945 wurde der Waffenstillstand beschlossen. Mitte Februar 1945 mussten sich die Widerstandstruppen bereit erklären, ihre Waffen abzugeben. „Wir, die wir uns gleichzeitig als Sieger und Besiegte fühlten, gaben unsere Waffen ab, mit Tränen in den Augen“, kommentierte Maria Beikou, die danach in ein noch von den Widerstandstruppen kontrolliertes Gebiet flüchtete und sich dort der 1946 von der Kommunistischen Partei Griechenlands gegründeten Demokratischen Armee anschloss.

Stimme Griechenlands“ bei Radio Moskau

Im bald danach ausbrechenden Griechischen Bürgerkrieg wurden die Männer und Frauen des antifaschistischen Widerstands und ihre Demokratische Armee vernichtend geschlagen. Wem es nicht gelang, über die albanische Grenze zu flüchten, wurde nach obskuren „Sondergerichtsverhandlungen” teilweise jahrzehntelang in Gefängnisse gesteckt, wo „Umerziehung”, Folter und Erschießungen an der Tagesordnung waren. Oder sie wurden in Lagern auf abgelegenen unbewohnten Inseln gefangen gehalten. Sympathisantinnen der Nationalen Befreiungsfront, die diesem Schicksal entgingen, wurden – weil sie sich nicht auf ihre Aufgaben im Heim und am Herd beschränkt hatten – als „Huren”, „unmoralisch” und „entehrt” stigmatisiert und der Willkür von rechtsradikalen Terrorbanden, Polizisten und Soldaten überlassen.

Maria Beikou hingegen gelang die Flucht (ihr Mann Georgoulas blieb jedoch zurück; er war kurz nach ihrer Heirat verhaftet und zu einer langjähriger Haftstrafe verurteilt worden und konnte ihr erst Mitte der 1960er-Jahre ins Exil folgen). Über Taschkent gelangte sie 1952 nach Moskau. Dort wurde sie als Sprecherin der griechischsprachigen Sendung, die von Radio Moskau ausgestrahlt wurde, zur „Stimme Griechenlands“.
Erst nach dem Sturz der griechischen Militärjunta konnte Maria 1975 nach Griechenland zurückkehren. Noch weitere sieben Jahre sollte es dauern, bis – trotz massiver Proteste von rechts – im Jahr 1982 in Griechenland ein Gesetz erlassen wurde, das nachträglich den Kampf der antifaschistischen Bewegung als Teil des Nationalen Widerstands anerkannte.

Der Krieg nahm uns unsere Jugend“

In Schattenkampf zog Maria Beikou ein Fazit: „Der Krieg nahm uns unsere Jugend, die Möglichkeit zu studieren, er nahm uns unsere Träume. Er nahm uns alles. Alles. Er hat uns alles kaputt gemacht. Nur zufällig sind wir noch am Leben. Wir haben unsere Heimat verlassen. Wir mussten uns in einem neuen Leben zurechtfinden. Ein ganz neues Kapitel in unserem Leben aufschlagen, uns anpassen, und 27 oder 28 Jahre lang weitab von unserer Heimat leben. Manche kehrten nie zurück. All die Jahre lang waren wir heimatlos und hatten keine Möglichkeit, unsere Lieben zu sehen. Unsere Heimat war wie eine verbotenen Frucht für uns. Das war furchtbar. Es war schlimm. Vielleicht das Schlimmste, was ich während all dieser Jahre erlebt habe. Dass ich noch am Leben bin, verdanke ich allein dem Zufall. Die Kugel, die mir galt, traf meinen Nebenmann. Es war Zufall.“ Daran zu erinnern, behielt Maria Beikou bis zu ihrem Tod am 28. März 2011 bei.

Scroll Up