Später schrieb Frida Malan, der Erlass der italienischen Rassengesetze 1938 sei in ihrem Leben der entscheidende Wendepunkt gewesen. Während sie damals in Turin Literatur studierte, verschwanden ihre jüdischen Professoren von einem Tag auf den anderen. Sie erlebte die Feindseligkeiten und alltäglichen Aggressionen, denen Jüdinnen und Juden ausgesetzt waren, auch zu Hause in ihrem engsten Umfeld.
Geboren am 10. März 1917 in Catania, war Fridas Zuhause in Torre Pellice. Der Hauptort der Waldensertäler in den piemontesischen Alpen war für die evangelischen Christen Italiens der Nabel der Welt: Hier hatten sich die AnhängerInnen der Laien-Reformbewegung, die sich ausschließlich an der Bergpredigt orientierten, im Rahmen von Toleranzedikten ansiedeln dürfen. Und seit ihnen am 17. Februar 1848 die vollen bürgerlichen Rechte gewährt wurden, konnten sie zwar ihren Wohnort frei wählen, wohnten, studierten, arbeiteten vorwiegend in Turin oder Mailand, hatten aber untereinander ein dichtes Netzwerk von Kontakten, und viele kehrten immer wieder nach Torre Pellice zurück.
Karl Barths Ideen vom Widerstand gegen die Faschisten in den Waldensertälern
Zurück nach Torre Pellice zog es 1935 auch Giulia Rivoir Malan. Nach dem Tod ihres Mannes bezog sie mit ihren Kindern Frida, Roberto und Gustavo eine Wohnung in der Via d’Azeglio, die bald zum Treffpunkt der „Giovani Barthiani“, der jungen Barthianer des Ortes, wurde. Viele der Aufsätze des Schweizer Theologen Karl Barth wurden dort verbreitet und vermittelten sein Leitmotiv, dass Glauben und Politik untrennbar miteinander verbunden seien. Dass sich Christen einmischen müssten in die Politik, fand breite Zustimmung.
Im Jahr 1938, als Mussolini in Italien die Rassengesetze erließ, als jüdische Kinder keine öffentlichen Schulen mehr besuchen durften, ihre Eltern ihre Anstellung und ihren Besitz verloren, als die jüdischen KommilitonInnen der jungen Leute aus Torre Pellice schon Glück hatten, wenn sie – mit dem Judenstempel im Studentenausweis – noch Examen machen durften, wurden Karl Barths Ideen vom Widerstand gegen die Faschisten zum Vorbild für viele der antifaschistisch gesinnten Waldenser.
Frida Malan trat nach dem Examen ihre erste Stelle als Lehrerin in Bergamo an. Dort erlebte sie 1940 Italiens Kriegseintritt an der Seite Nazi-Deutschlands. Sie sah sich von jubelnden Landsleuten umgeben, während zu Hause in Torre Pellice ihre Freundinnen und Freunde Karl Barths Ansicht diskutierten, dass gegen ein verbrecherisches Regime notfalls auch bewaffneter Widerstand zu leisten sei. Nach einer Versetzung an eine Schule in Susa und ähnlichen Problemen wie in Bergamo, entschied Frida, dass sie unter einem faschistischen Regime nicht länger als Lehrerin arbeiten könne. Sie schrieb sich erneut an der Universität Turin ein und suchte dort Kontakt zu Widerstandszirkeln der Bewegung Giustizia e Libertà.
Fridas Arbeit für das Movimento Femminile Giustizia e Libertà
Die im Untergrund existierenden antifaschistischen Widerstandsgruppen und Parteien hatten sich schon vor der deutschen Besetzung Italiens am 8. September 1943 neu formiert. So konnte bereits am darauffolgenden Tag in Rom das parteiübergreifende Comitato di Liberazione Nazionale (Komitee der nationalen Befreiung, CLN) zur Koordinierung des Kampfes gegen die Besatzer gegründet werden.
Auch Frida Malan ging sofort in den Widerstand; sie hielt den Kontakt zwischen den von Giustizia e Libertàin den Waldensertälern aufgestellten Einheiten und der Führung des militärischen Flügels des CLN des Piemont. Ihren Lebensmittelpunkt verlagerte sie aber sukzessive nach Turin. Als überzeugte Feministin stieß sie in der ländlichen Bergregion an die Grenzen einer doch immer noch sehr patriarchalisch strukturierten Gesellschaft, in der Männer nicht gewohnt waren, von selbständig handelnden Frauen Anweisungen zu erhalten, wie sie später einmal bemerkte.
In Turin baute sie zusammen mit Ada Gobetti, Silvia Pons und anderen die Frauenbewegung der 1942 gegründeten Aktionspartei auf, das Movimento Femminile Giustizia e Libertà. Sie leisteten Überzeugungsarbeit bei Fabrikarbeiterinnen und unterstützten deren Streiks und Demonstrationen. Im Dezember 1943 gehörte sie auch zu den Mitbegründerinnen der Gruppi di Difesa della Donna (GDD) für Oberitalien, in der sich Frauen der Kommunistischen Partei, der Sozialistischen Partei und der Aktionspartei zusammenschlossen. Als Pendlerin zwischen Turin und Torre Pellice konnte Frida permanent Unterlagen und Informationen zwischen dem Hauptquartier des CLN in Turin und den Tälern hin und her befördern. Daneben galt es, geflüchtete alliierte Kriegsgefangene in Sicherheit zu bringen, Ausweise zu fälschen und Flugblätter zur Aufklärung der Bevölkerung zu verfassen.
In die Waldensertäler hatten sich nach dem 8. September 1943 auch viele Juden geflüchtet, um der Deportation durch die Deutschen zu entgehen. Einer von ihnen war der junge Literaturwissenschaftler Emanuele Artom, mit dem Frida seit gemeinsamen Studienzeiten befreundet war. Er hatte sich sofort dem Widerstand angeschlossen und wurde als Mitglied einer Partisaneneinheit unter dem Kommando ihres Bruders Roberto bei einer Razzia in den Tälern im März 1944 verhaftet, bestialisch gefoltert und anschließend in Turin ermordet. Ihm konnte Frida nicht mehr helfen, das Schicksal anderer bei der Razzia Verhafteter war jedoch völlig ungeklärt. Nachdem sie in Erfahrung gebracht hatte, dass sie sich im von der SS eingerichteten Durchgangslager Fossoli bei Carpi in der Nähe von Modena befinden sollten, fuhr Frida – schwer beladen mit zwei Koffern voller Lebensmittel, Kleidung und Bargeld, das sie gesammelt hatte – mit dem Zug in die Nähe des Lagers. Über Mittelsmänner gelang ihr der Kontakt zu einigen dort Gefangenen. Noch ein zweites Mal gelang Frida eine derartige Fahrt nach Fossoli, bevor sie selbst im Sommer 1944 verhaftet wurde. Erst nach wochenlangen Verhören in Turin kam sie Mitte September 1944 wieder frei.
Nach der Befreiung nahm Frida Malan ihre Lehrtätigkeit wieder auf. Sie fungierte als Delegierte im Oktober 1945 beim ersten nationalen Frauenkongress in Florenz, trat 1946 in die Sozialistische Partei ein und setzte ihr Engagement innerhalb vieler Frauenverbände fort. 1960 wurde sie erstmals in den Turiner Stadtrat gewählt, dem sie für mehrere Legislaturperioden angehörte. Einen Großteil ihrer politischen Tätigkeit widmete sie dabei der Gleichstellung von Frauen. Frida Malan starb im Februar 2002 in Turin.
Vor allem in den Waldensertälern wird die Erinnerung an sie und ihr Wirken wachgehalten. Aber auch die Turiner Sektion des nationalen Lehrerverbandes FNISM führt im Untertitel ihren Namen und im Jahr 2022 wurde in der Stadt eine Straße nach Frida Malan benannt.