„Weißt Du, was das bedeutet, wenn eine aus einer aristokratischen Familie nachts den Sack mit dem altbackenen Brot auf die Schultern nimmt, um es den Familien der Kämpfer zu bringen? Ich denke mit Wehmut und Rührung daran zurück. Man wollte geben, nicht nehmen.“
Dieses „Geben“, das Dionysia Papadomichelaki Mitte der 1990er-Jahre rückblickend beschreibt, war das zentrale Motiv der antifaschistischen Hilfsorganisation „Nationale Solidarität“ (Ethniki Allileggii, EA), die sie im Mai 1941 mitbegründete.
Mit 23 Jahren war Dionysia 1930 in die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) eingetreten. Wie viele andere Oppositionelle war sie unter der 1936 an die Macht gekommenen Metaxas-Diktatur mehrmals verhaftet und anschließend auf abgelegene Inseln verbannt worden. Im Jahr 1941, als deutsche Invasionstruppen ihr Heimatland überfielen, musste Dionysia gerade eine Verbannungsstrafe auf der kleinen Kykladeninsel Folegandros in der südlichen Ägäis verbüßen. Durch Unterstützer heimlich mit Nachrichten vom Festland versorgt, entschloss sie sich sofort zur Flucht. Dass etwas unternommen werden musste gegen die katastrophale Versorgungslage, in die die deutsche Besatzung die Bevölkerung Griechenlands gestürzt hatte, war augenscheinlich. Das war die Geburtsstunde der „Nationalen Solidarität“, die später auch als „Rotes Kreuz des griechischen Widerstands“ bezeichnet wurde.
Das Rote Kreuz des griechischen Widerstands
Dionysia Papadomichelaki war die einzige Frau unter den Gründungsmitgliedern dieses überparteilichen Hilfswerks, das sich zunächst dem Kampf gegen den Hunger vor allem der Kinder verschrieb. Als der Widerstand gegen die deutsche Besatzung auf Betreiben der Kommunistischen Partei Griechenlands mit der Gründung der Nationalen Befreiungsfront (Ethniko Apelevtherotiko Metopo, EAM) im September 1941 eine organisatorische Basis erhielt, wurde diese auch die Dachorganisation für die „Nationale Solidarität“. Die erbarmungslose wirtschaftliche Ausbeutung des Landes durch die deutschen Besatzer, galoppierende Inflation mit der Folge einer rapiden Verarmung der breiten Masse der Bevölkerung führte dazu, dass sich mit dem Einsetzen der kalten Jahreszeit ab November 1941 die Fälle mehrten, in denen vom Hunger gezeichnete griechische Männer, Frauen und Kinder auf offener Straße tot zusammenbrachen. Bereits der erste Besatzungswinter 1941/1942 forderte etwa hunderttausend Opfer.
Dionysia Papadomichelaki knüpfte mit ihren Mitstreiterinnen – ganz überwiegend arbeiteten Frauen innerhalb der „Nationalen Solidarität“ – ein dichtes Unterstützungsnetz auf, sammelte Geld und baute Volksküchen auf. Nach Demonstrationen übernahmen die Frauen die Versorgung der Verwundeten und Bergung der Toten. Sie beschafften Nahrung und Unterkunftsmöglichkeiten für diejenigen, die sich vor den Besatzern im Untergrund verstecken mussten. Sie unterstützten Angehörige von Verhafteten oder im Zuge von deutschen „Vergeltungsmaßnahmen“ Exekutierten durch Geldsammlungen und sorgten dafür, dass niedergebrannte Dörfer wieder aufgebaut werden konnten. Außerdem gründete die “Nationale Solidarität“ in den befreiten und teilweise sogar in den besetzten Gebieten eine große Anzahl von Volkskrankenhäusern und Apotheken, Untersuchungspraxen und viele gemeinnützige Einrichtungen.
Dionysia Papadomichelaki, die sich während der deutschen Besatzung auch den Beinamen „Mutter der Kämpfer“ erworben hatte, musste nach der Schlacht um Athen im Dezember 1944 aus der Stadt flüchten. Britische Panzer, unterstützt von Bombardierungen der Royal Air Force, hatten die Einheiten der antifaschistischen Griechischen Volksbefreiungsarmee zurückgedrängt und royalistischen und rechts-nationalistischen waffentragenden Organisationen zum Sieg verholfen.
In Trikala brachte Dionysia, seit 1937 mit Stelios Papadomichelaki verheiratet, Anfang 1945 ihre Tochter Aliki zur Welt. Zwei Jahre später wurde sie auf Kreta gefasst und verbrachte bis 1952 viele Jahre in diversen Verbannungsorten (Chios, Trikeri, Makronisos). Nach ihrer Freilassung engagierte sich Dionysia in der Vereinigung der Demokratischen Linken (EDA) und wurde während der Griechischen Militärdiktaur erneut verhaftet. Sie starb 1999 in Athen.