Chrysa Chatzivasileiou (1904–1950)

 

Chrysa Chatzivasileiou

Mit gerade einmal zwanzig Jahren trat Chrysa Chatzivasileiou in die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) ein. 1935 war sie die erste Frau, die in das Zentralkomitee der Partei gewählt wurde. Und einige Jahre später wirkte diese kluge Frau – für die die Gleichberechtigung von Männern und Frauen eine Selbstverständlichkeit war – innerhalb der Nationalen Befreiungsfront gegen die deutsche Besatzung (Ethniko Apeleftherotiko Metopo, EAM) als eines der wichtigsten weiblichen Vorbilder der Widerstandsbewegung.

1904 nahe Izmir in der heutigen Türkei geboren, kam Chrysa im Rahmen der sogenannten Kleinasiatischen Katastrophe, der Zwangsumsiedlung von annähernd 1,25 Millionen Griechinnen und Griechen als Konsequenz des verlorenen Griechisch-Türkischen Krieges 1919–22, mit ihrer Familie nach Athen. Nach dem Abitur arbeitete sie vor allem für die Partei, die sie auch zum Studium an die Kommunistische Universität der Werktätigen des Ostens (KUTW) in Moskau schickte.

Haft und Verbannung schon im Widerstand gegen die Diktatur von Ioannis Metaxas

Durch den Staatsstreich von Ioannis Metaxas am 4. August 1936 waren Chrysa und ihr Mann Petros Roussos, der wie sie Mitglied im Zentralkomitee der KKE war, gezwungen, ihre Arbeit im Untergrund fortzusetzen: Parlament und Verfassung waren außer Kraft gesetzt, bestehende Parteien und jegliche oppositionelle politische Betätigung waren verboten. Bis 1938 konnten sie ihren Häschern entgehen, wurden schließlich aber in Thessaloniki verhaftet und auf die Kykladeninsel Kimolos deportiert. Drei Jahre später gelang ihnen in den Wirren der ersten Tage nach dem deutschen Überfall auf Griechenland am 20. April 1941 die Flucht von der Strafinsel. Zurück in Athen widmete sich Chrysa mit anderen sofort der Reorganisation der Partei, auf deren Betreiben der Widerstand gegen die deutsche Besatzung mit der Gründung der Nationalen Befreiungsfront (EAM) im September 1941 eine organisatorische Basis erhielt.

Vordringlichste Aufgabe war zunächst die Bewältigung der durch die Besatzung verursachten alltäglichen Nöte der Menschen. Das griechische Volk hungerte, die Geburtenrate stürzte ins Bodenlose und viele litten an epidemischen Infektionskrankheiten. Die katastrophale Versorgungslage war durch den Raubzug der deutschen Besatzungsorgane hervorgerufen worden, die sämtliche Wirtschaftsgüter Griechenlands entweder für die Kriegswirtschaft ins „Reich“ schickten oder zur Versorgung der eigenen Truppen nutzten. Die Partei organisierte Demonstrationen und Streiks; sie schuf vielfältige Hilfseinrichtungen, um die größte Not zu lindern („Mit dem Schießprügel ißt das Volk kein Brot“). Daneben lotete die KKE im Hinterland aber bereits die Möglichkeiten für einen bewaffneten Befreiungskampf aus. Am 16. Februar 1942 verkündete die EAM die Gründung der Griechischen Volksbefreiungsarmee (ELAS), die sich in der Folge zur stärksten militärischen Kraft im Kampf gegen die Besatzung entwickelte.

Chrysa Chatzivasileiou in der Bergregierung des Freien Hellas

Chrysa Chatzivasileiou wurde 1942 in das Politbüro der KKE gewählt. Auf sie, nach der Soziologin und Frauenforscherin Janet Hart eines der „role models“ der Bewegung, soll auch die anonyme Broschüre zurückgehen, die Anfang 1943 auf 40 Seiten erläuterte, „wie die Frau in der Nationalen Befreiungsfront zu arbeiten hat“: In der „direkten revolutionären Aktionsollten Frauennicht nur in Hilfsfunktionen teilnehmen, sondern vielmehr eine herausragende Rolle spielen“.
Sie zählte – neben Maria Svolou, Mahi Mavroidi, Fotini Filippidi und Kaiti Zevgou – auch zu den fünf Frauen, die im April 1944 in den durch die ELAS befreiten Gebieten in Koryschades in den Nationalrat desPolitischen Komitees der Nationalen Befreiung, die sogenannte Bergregierung des Freien Hellas, gewählt wurden.Diese Wahl war die erste, an der sich auch Griechinnen beteiligen durften; vorher gab es für sie nur ein eingeschränktes Kommunalwahlrecht. In der Verfassung der Bergregierung war die Gleichberechtigung von Männern und Frauen erstmals festgeschrieben worden.

Am 12. Oktober 1944 waren die deutschen Besatzungstruppen gezwungen, aus Athen abzuziehen. Die Bergregierung hatte eingewilligt, die ELAS einer gemeinsamen Regierung der Nationalen Einheit zu unterstellen – unter Einbezug der royalistischen und nationalistischen Kräfte unter dem Oberbefehl der Briten. Diese gemeinsame Regierung hielt jedoch vor allem wegen der Auseinandersetzungen um die allgemeine Entwaffnung nur kurz. Dass die royalistischen und nationalistischen Verbände kaum von der Abgabe der Waffen betroffen waren und Mitglieder der „Sicherheitsbataillone“ und ähnlicher vorher mit den Nazis kollaborierender Banden aus den Gefängnissen entlassen und in neuen, nun regulären Uniformen Terror verbreiteten, führte im Dezember 1944 zur Schlacht von Athen: Nach wochenlangen Kämpfen zwischen der antifaschistischen ELAS auf der einen Seite und der neuen königstreuen Regierung, rechts-nationalistischen Organisationen und britischen Truppen auf der anderen Seite gewannen britische Panzer – unterstützt von Bombardierungen der Royal Air Force – die Hoheit über die Stadt. Am 5. Januar 1945 zogen sich die geschlagenen ELAS-Einheiten zurück; am 11. Januar 1945 wurde ein Waffenstillstand geschlossen, am 12. Februar 1945 der Vertrag von Varkiza unterzeichnet. Was dieser Vertrag für die Widerstandsbewegung bedeutete, beschrieb später Maria Beikou, die eine rein weibliche Musterbrigade angeführt hatte: „Wir, die wir uns gleichzeitig als Sieger und Besiegte fühlten, gaben unsere Waffen ab, mit Tränen in den Augen.“

Sie bezweifelte aber die Richtigkeit der Parteilinie nach 1945

Heftige Richtungsstreits innerhalb der KKE prägten die folgenden Monate. Der Anfang Juni 1945 aus dem KZ Dachau zurückgekehrte frühere Generalsekretär Nikolaos Zachariadis verurteilte die während seiner Abwesenheit gemachten Zugeständnisse und die Aufgabe des bewaffneten Kampfes scharf, übernahm wieder die Führung der KKE und leitete eine radikale politisch-strategische Kehrtwendung ein, die im Aufruf zum Boykott der Wahlen vom 31. März 1946 kulminierte.
Chrysa Chatzivasileiou hingegen war eine der wenigen, die den Plan der nationalen Einheit als historisch richtig und notwendig erachtete. Die Niederlage war ihrer Einschätzung nach darauf zurückzuführen, daß diese Linie nicht konsequent genug eingehalten worden war. Dass der nationale Befreiungskampf mit einer Machtübernahme der Kommunisten hätte abgeschlossen werden können, war ihrer Ansicht nach eine Fehleinschätzung: Eine Entwicklung wie in Jugoslawien sei in Griechenland aufgrund der bestehenden wirtschaftlichen, geografischen und politischen Unterschiede nicht möglich gewesen. Wenn auch der innerparteiliche Konflikt zu diesem Zeitpunkt noch nicht – wie im kurz darauf ausbrechenden Griechischen Bürgerkrieg – offen eskalierte, wurde Chrysa Chatzivasileiou, die sich für die Beteiligung an den Wahlen aussprach und einem Kurs zuneigte, der in etwa jenem der französischen oder italienischen KP entsprach, in der Partei zunehmend isoliert.

Im November 1945 vertrat sie noch zusammen mit Dido Sotiriou die Panhellenische Frauenvereinigung (PEG) bei der Gründungskonferenz der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (IDFF) in Paris. Ihre geäußerten Zweifel an der Richtigkeit der Parteilinie führten aber später zu ihrem Ausschluss aus dem Politbüro.
Im Herbst 1949 begab sich Chrysa Chatzivasileiou zur Behandlung ihrer Leukämie-Erkrankung in ein Krankenhaus in Budapest, wo sie – weitgehend vergessen von den meisten ihrer früheren WeggefährtInnen – 1950 starb. Ihre sterblichen Überreste wurden nach dem Sturz der griechischen Militärdiktatur 1975 nach Athen überführt und auf dem Ersten Athener Friedhof beigesetzt.

 

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