Das St. Josefshaus in Herten/Rheinfelden (32)


Dieser Ausflug führt zum St. Josefshaus des Deutschen Caritasverbandes, aus dessen Vorgängereinrichtung 345 Menschen – darunter weit über 200 Kinder – im Rahmen der T4-„Euthanasie“-Aktion in der Tötungsanstalt Grafeneck vergast wurden.

Das Sankt Josefshaus als Ausgangsort systematischer Morde an Patientinnen und Patienten

Anstaltskirche St. Josef mit Mahnmal, Foto: © Sabine Bade

Die Vorgängereinrichtung des St. Josefshauses in Herten wurde 1879 vom Hertener Dorfpfarrer Karl Rolfus auf Anregung der damaligen Oberin der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz, Maria Theresia Scherer, gegründet, um sich der „Kretinen“ in Herten und Umgebung anzunehmen. In Herten sollten die Menschen aber nicht nur verwahrt, sondern gezielt gefördert werden: Hier wurde ihnen Bildung und Ausbildung ermöglicht. Die Anstalt verstand sich in den 1930er- und 1940er-Jahren als „Privat-, Unterrichts- und Erziehungsanstalt für Geistesschwache und Epileptische katholischer Konfession“ und bezeichnete sich zudem als „Pflegeanstalt für Nichtbildungsfähige jeder Konfession, Alters und Geschlechts“. Im Jahr 1939 war die Hälfte der „Pfleglinge“ Kinder, und die allermeisten von ihnen erhielten in der Anstalt schulische Bildung. Neben der anstaltseigenen Schule mit Spezialklassen für schwerhörige, gehörlose und sprachbehinderte Kinder gab es auch einen heilpädagogischen Sonderkindergarten.
Mitte 1940 wurde die Anstalt – auf Grundlage vorher „im Hinblick auf die Notwendigkeit planwirtschaftlicher Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten“ angeforderter Meldebögen – zum Ausgangsort systematischer Morde an Patientinnen und Patienten. Am 26. Juli 1940 verließ der erste Transport mit 70 Frauen und Mädchen Herten. Sie sollten in die Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen verlegt werden, wie es offiziell hieß. Dass jedoch Emmendingen nur als Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungsanstalt Grafeneck diente, wurde den Verantwortlichen in Herten durch die Todesnachrichten, die die Angehörigen verlegter Menschen erhielten, schnell klar. Von den NS-Tätern waren sie als „lebensunwertes Leben“ charakterisiert und ihre Ermordung im Rahmen des umfassenden NS-Programms zur „Reinigung des Volkskörpers“ als „Gnadentod“ (Euthanasie) bezeichnet worden. In der eigens dafür eingerichteten Gaskammer von Grafeneck begann der heute meist nach der Zentralstelle in der Berliner Tiergartenstraße 4 als „Aktion T4“ bezeichnete Massenmord; ihm fielen allein dort mindestens 10.654 Psychiatriepatientinnen und Anstaltsbewohnern aus 48 Einrichtungen zum Opfer – darunter 345 Frauen, Männer und sehr viele Kinder aus der St. Josefsanstalt.

„Kind, wenn Du in den Himmel kommst …“

Foto: © Sabine Bade

Dem ersten Abtransport in den Grauen Bussen der NS-Scheinorganisation „Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft“ (GEKRAT) vom 26. Juli 1940 folgten weitere vier Transporte, zunächst über Emmendingen, dann über die Heilanstalt Zwiefalten in die Mordanstalt Grafeneck: am 12. August, 20. August, 26. September und am 2. Dezember 1940. Versuche von Rektor Wilhelm Grein im Auftrag und als Vertreter der St. Josefsanstalt beim Innen- und im Unterrichtsministerium in Karlsruhe, die Verschleppungen zu stoppen, waren erfolglos geblieben.
Welche Dramen sich in Herten vor den Transporten besonders der Kinder abgespielt haben müssen, kann hier nur durch ein Zitat einer der damals dort arbeitenden 73 Hegner Kreuzschwestern angedeutet werden, die über die Oberin Reginalda Lindauer sagte: „Als wieder einmal ein Transport eingeladen wurde, nahm sie in ihrem großen Weh das letzte kleine Kind auf die Arme, drückte es an sich und sagte weinend zu ihm: „Kind, wenn Du in den Himmel kommst, dann sag doch dem lieben Heiland, er möge jetzt Schluß machen damit. Wir können wirklich nicht mehr“.

Karl Egon, Benno und all die anderen

Als er „in den Himmel kam“, war Karl Egon Fuchs aus Konstanz acht Jahre alt. Der kleine Karl hatte nie richtig zu sprechen gelernt. Diese Sprachstörung scheint der Grund dafür gewesen zu sein, dass er am 8. April 1937 nach Herten kam – einen Monat nach seinem fünften Geburtstag. Am 12. August 1940 wurde er im zweiten von Herten ausgehenden Transport zusammen mit 74 weiteren männlichen Heimbewohnern nach Emmendingen „verlegt“ und zwei Wochen später am 29. August 1940 in Grafeneck ermordet.

Eine der beiden Namenstafeln, Foto: Foto: © Sabine Bade

Der kleine Benno Bosch aus Konstanz war noch nicht einmal fünf Jahre alt, als er am 6. September 1940 in der Gaskammer von Grafeneck starb. Vorher hatte er zwei Jahre lang in der St. Josefsanstalt gelebt.
An beide Jungen, die in Herten gezielt weiter hätten gefördert werden können, wären sie nicht dem mörderischen T4-Programm der Nazis zum Opfer gefallen, erinnern in Konstanz verlegte Stolpersteine.

Das St. Josefshaus Herten ließ in den 1990er-Jahre die Geschichte der Deportationen aufarbeiten, erforschte die Namen der Opfer und gab die Dokumentation „Die Zahlen mußten stimmen …“ heraus. Alle 345 Kinder, Frauen und Männer, die 1940 aus Herten verschleppt wurden, sind auf zwei Tafeln gelistet, die sich im Eingangsportal der Anstaltskirche St. Josef befinden. Vor der Kirche steht ein von dem Rheinfelder Bildhauer Leonhard Eder geschaffenes Mahnmal. Jährliche Gedenkveranstaltungen halten die Erinnerung an die Opfer wach.

 


Vertiefende Informationen:

Heinz Faulstich: Von der Irrenfürsorge zur „Euthanasie“. Geschichte der badischen Psychiatrie bis 1945, Freiburg 1993
Thomas Stöckle: Grafeneck 1940. Die Euthanasie-Verbrechen in Südwestdeutschland, Tübingen vollständig überarbeitete Neuauflage 2020
St. Josefhaus Herten (Hg.): Die Zahlen mußten stimmen … Das nationalsozialistische „Euthanasie“· Projekt im Fall des St.Josefhauses Herten, Rheinfelden 1997
SWR Stolpersteine zum Hören: Benno Bosch

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